Alle Eltern dieser Welt kennen ihn wohl, den gefürchteten Schlachtruf vom Nachwuchs: "Mir ist so fad!" Langeweile lauert in vielen Situationen auf unsere Kinder. Nicht nur beim Besuch von kinderlosen Menschen, im öden Restaurant, während der laaangen Autofahrt (von elf Minuten) oder in Wartezonen jeglicher Form. Nein. Auch bei schlechtem Wetter, im Rahmen der nervenzerfetzenden Vorfreude aufs Christkind ab etwa dem fünften Oktober oder in der plötzlichen Stille nach (zu) viel Action taucht sie gerne auf. Und dann?
Unser Einstieg ist gleich schön direkt: Wenn wir Großen in jeder sogenannten freien Minute sinnentleerte Beschäftigungstherapien starten („Na gut, dann bügeln wir jetzt mal die Socken.“), nur um nicht stillzustehen, oder unser Handy auf der verzweifelten Suche nach irgendwelchen Netzbelanglosigkeiten oder nicht-existenten neuen Nachrichten zu durchforsten – also: Wenn wir Langeweile selbst schlecht oder gar nicht aushalten wollen, gibt das auch unseren Kindern zu denken. Anfangs unbewusst, mit dem Älterwerden mehr und mehr bewusst.
Gut. Nach dem Abhaken des sicher wichtigen, aber nicht sehr kurzweiligen Themas der elterlichen Vorbildfunktion widmen wir uns nun dem eigentlichen Thema: Gelangweilte Kinder – was tun? Und Achtung, wir spoilern auch gleich wieder: Am besten gar nichts.
Ein Plädoyer für die gesunde Leere
Wissenschaftlich ausgedrückt und gern zitiert, geht die gängigste Definition von Langeweile in die Richtung eines wenig zufriedenstellenden Gefühls, wenn wir entweder etwas tun müssen, das wir nicht wollen – oder aber etwas nicht tun können, was wir sehr gern machen würden. Ein häufiges Merkmal von Langeweile ist außerdem, dass im Zustand der Langeweile jene Aktionsmöglichkeiten, die es sehr wohl gäbe, als nicht verlockend erscheinen. Zahlreiche Forschungen ranken sich um das breite Thema der Langeweile. Psychologische Raster werden dazu angelegt, Langzeitstudien vorangetrieben. Doch so weit wollen wir heute nicht gehen. Es würde sonst zu theoretisch werden, und das wäre dann irgendwie langweilig.
Darum kurz und prägnant das Beste an dem ganzen Drama seufzender Lethargie und jammernder „Mir ist fad!“-Schlachtrufe: Langeweile darf nicht nur sein. Sie soll auch sein.
Genauso wie die Situationen, die sie auslösen. Denn sie gehören zum menschlichen Leben dazu. Lassen sich meist ganz locker aushalten. Und können mit ein bisschen Bereitschaft, Übung und natürlich dem Raum dafür sogar wunderbare Blüten tragen.
Vom Luxus der Langeweile
Langeweile begleitet uns immer wieder – ganz egal, wie alt wir sind. Wobei es je nach Typ, Charakter und Situation mal mehr und mal weniger braucht, damit es fad wird. Kennen wir alle, ist ganz logisch. Kinder müssen jedoch erst nach und nach lernen, damit umzugehen. Und das, eben, ist das Spannende daran.
Natürlich ist es nicht witzig, beim Arzt zwei Stunden warten zu müssen. Ein paar Minuten an der Kassa. Wochenlang auf den Ferienstart. Oder tatsächlich ewig auf Godot. Auch das Reisen von A nach B lässt rasch Langeweile aufkeimen, genauso wie das Absitzen oder Ausstehen jeder Situation, in der ein Kind (scheinbar!) nichts machen kann, was Spaß macht. Weitere Fadesse kommt häufig nach besonders actiongeladenen Zeiten auf – wie einem langen Wochenende voller Ausflüge oder auch einfach nur einer spannenden Session mit der Spielkonsole. Nach dem Trubel folgt dann einfach gern mal die Leere.
Aber ganz gleich, warum es fad wird: Wenn Kinder ihrem Alter und ihrer Entwicklung entsprechend lernen dürfen, Leerzeiten und suboptimale Gegebenheiten erstens auszuhalten und zweitens für sich mit Sinn zu erfüllen, ist das eine extrem wertvolle Sache. Anstatt in faden Phasen zu leiden und sich hilflos zu fühlen, können Kinder sie nämlich zum Träumen und Nachdenken, als Ideenschmiede oder auch zum Ausprobieren ganz neuer Aktivitäten nutzen. Plötzlich entstehen so Höhlen aus Decken und Türme aus Bausteinen, werden neue Freundschaften geschlossen – oder gewinnt ein sträflich vernachlässigtes Instrument wieder an Bedeutung. Oder wie wäre es mit freiwilligem Ausruhen, Einschauen, Abdriften? Alles sehr gesund, wirklich nötig – und wunderbar möglich im facettenreichen Raum der Langeweile.
Fadsein lässt sich aushalten – und bringt oft die besten Ideen mit sich
Je jünger unsere kleinen Lieblingsmenschen sind, desto eher geben wir ihnen ja die Freizeit- und Tagesstrukturen vor. Doch je mehr Freiraum die Erwachsenen in diesem Programm für freies Spielen lassen, desto besser. Was beim zweijährigen Mini-me vielleicht noch sieben Minuten sind, in denen er versonnen im Gras sitzt und vor sich hinschaut, darf sich im Lauf der Monate und Jahre mehr und mehr steigern.
Und ja, der Umgang mit faden Gefühlen beginnt übrigens tatsächlich schon im Babyalter: Es muss nicht ständig was überm Kopf oder vorm Gesicht zappeln, wackeln, klingeln und die drei berühmtesten Klassik-Sonaten der Welt summen. Gerade in der Stille, auf der vermeintlich eintönigen Decke ohne Krimskrams, mit dem Blick an die weiße Decke kommt so ein winziger Mensch auch mal sehr gut zur Ruhe. Und zurecht. Während Mama oder Papa natürlich bitte unbedingt in unmittelbarer Nähe bleiben, kann das Baby so trotzdem gefühlt kurz „für sich“ sein. Und das stärkt. Schon ein paar dieser ruhigen Momente sind für das Kind viel wert. Je älter es wird, desto mehr dieser Momente kann es dann schon für sich nutzen – während des Großwerdens immer weiter und auf immer mehr Ebenen ausdehnen.
Es ist wenig erstaunlich, wenn der Sechsjährige nach einer durchaus lebhaften, aber verlorenen Diskussion ums Tablet (als bekannter und recht simpler Weg zu schneller Unterhaltung) schließlich verdrossen in sein Zimmer stürmt. Doch es ist faszinierend und berührend, wenn der spätere heimliche Blick durch die Tür offenbart, wie das eben noch in Rage nach der Spiele-App heischende Kind nun in aller Ruhe zeichnet, die Bastelsachen sondiert, dem Stoffhund eine Geschichte erzählt, die Schatten an der Wand betrachtet, ein skurriles Muster aus Bauklötzen legt – oder die Spielküche neu organisiert.
Das nämlich ist das Schöne an der Langeweile: Sie fordert unsere Kinder dazu auf, immer wieder – bekannte, modifizierte oder ganz neue – Möglichkeiten der Beschäftigung mit sich und der Umwelt zu (er)finden.
Mir ist so fad – bitte nicht stören!
Kinder, die von Baby an ständig von ihrem erwachsenen Umfeld bespielt, bespaßt und, ja, genervt werden, tun sich auch später einfach schwerer, sich mit selbst zu beschäftigen – und unprogrammierte Zeiten für sich sinnvoll zu nutzen. Ältere Kinder (und besonders Teenager) wiederum können sogar regelrecht aggressiv werden, wenn die Erwachsenen sie mit tollen Ratschlägen zur persönlichen Tages-, Abend- oder Feriengestaltung bombardieren, in all ihrer Liebe.
Dabei ist die Langeweile vom Nachwuchs überhaupt nicht unser Kaffee! Echt jetzt: Überhaupt nicht! Und: Ja. Eh klar. Aber oft gar nicht so einfach, den Helikopter im bemühten Elternherz mal einzuparken, sich nicht gutmeinend einzumischen – oder den fröhlichen Entertainer zurück in die Kasperlbox zu packen. Oder?
Doch die erfolgreiche Zurückhaltung zahlt sich aus. Denn je weniger Engagement von den Großen kommt, um dem gefährlichen Monster der Fadheit Einhalt gebieten zu wollen, desto rascher, simpler und selbstverständlicher nutzen die Kinder schlussendlich selbst ihre Zeit. Weil die Langeweile in Wahrheit gar kein Monster ist. Sondern ein ganz natürlicher Seinszustand, so wie Konzentration oder Spaß. Und ja, manchmal geht die favorisierte Beschäftigung im gähnenden Land des scheinbaren Nichtstuns dann tatsächlich übers grantige An-die-Wand-Starren nicht hinaus. Doch selbst das ist großartig. Und birgt das Potenzial, zur Ruhe zu kommen, sich selbst besser kennenzulernen, eigene Bedürfnisse zu eruieren – und auf abenteuerliche Gedankenreise zu gehen. Schon André Heller hat schließlich gesagt, dass ... Ach, lassen wir das. Wir alle wissen, was er gesagt hat.
Unsere Checklist für gesunde Langeweile
Überhaupt nicht langweilig aber finden wir ja übrigens Listen. Zum Beispiel unsere Langeweile-Checklist.
- Hilfreiche Antworten
Vorschläge zur Freizeitgestaltung bei kindlicher Langeweile sind größtenteils leider kontraproduktiv, weil sie a) dem Kind garantiert eh nicht gefallen oder b) dem Kind die Möglichkeit nehmen, selbst die Initiative zu ergreifen. Aber irgendwie reagieren wollen wir Großen natürlich schon. Wie wäre es also mit hilfreichen Antworten, die zwar wertschätzen, aber nicht bevormunden? Etwa auf die kindliche Klage „Mir ist so fad!“ etwas in der Art wie „Das Gefühl kenne ich“, „Das sehe ich“, oder “Mir auch. Deshalb überlege ich gerade, was ich tun könnte, damit mir endlich nicht mehr so langweilig ist!“ Sprich: Gebt den Ball der Langeweile möglichst zurück, wenn er euch von euren Kids zugespielt wird. Nicht leicht, wir wissen es. Aber den Versuch ist es wert. - Reize eindämmen, so reizend sie auch sein mögen
Ein gesundes Maß an Reizen ist grundsätzlich klug, um das kindliche Nervenkostüm nicht unnötig überzustrapazieren. Die Leere nach drei Stunden Fernsehen etwa ist keine gesunde Langeweile, sondern ein sehr anstrengender Zustand für die kleinen Viereck-Augen. Dasselbe gilt für die große Feier im Familienkreis: Lieber die Tränen (die vom Kind und mitunter auch heimlich die eigenen) in Kauf nehmen und die Schlafenszeit durchsetzen, egal, wie viele Menschen da immer noch im Wohnzimmer rumlümmeln. Als die Schwelle zu übersehen – und ein komplett überdrehtes Kind zur Fahrt ins Traumland zu überreden zu versuchen. Das mit der plötzlichen Ruhe nach viel zu viel Action aber natürlich einfach nicht umgehen kann. - Programmgestaltung mit Lücken
Sport, Kreativität, Soziales: Der Alltag mit Kind ist im besten Fall keiner. Bewusst gesetzte Pausen in all dem Spaß und Unterwegssein sind jedoch ein klarer Tipp. Ein Tag zuhause soll schließlich keine Strafe sein – sondern auch aus Kindersicht eine willkommene Möglichkeit, in Ruhe zu spielen, für sich zu sein oder mit offenem Auge und ebensolchem Geist zu rasten. So wachsen Kinder im Wissen auf, dass sie auch dann gut durch einen Tag kommen, wenn eben mal „keine Kapelle aufspielt“. Und entdecken im nur scheinbar Unbesonderen das Besondere. - Präventive Maßnahmen für fixe Langeweile-Zeiten
Wenn außertourliche Warte- oder Reisezeiten anstehen, schadet es natürlich nicht, ein paar einfache Präventionsmaßnahmen vorzubereiten. Es muss ja nicht immer ein fröhlich responsiver Screen sein, um Kinder bei Laune zu halten. Ein Block und ein paar Stifte in der Tasche, eine Handvoll bunter Bausteine im Wartezimmer oder das Lieblingshörspiel in den Kopfhörern können Wunder wirken. Und haben sehr viel kreatives Potential. Ab dem frühen Kindergartenalter funktioniert es erfahrungsgemäß sehr gut, die Kinder bewusst darauf vorzubereiten – und ihnen anzubieten, im Vorfeld selbst zu überlegen, was sie „zur Sicherheit“ gern mitnehmen möchten, „falls es fad wird“. Ebenfalls erfahrungsgemäß ist es dabei nicht schlecht, im selben Atemzug die Optionen an Beschaffenheit, Anzahl oder Größe der gewünschten Hilfsmittel festzulegen. Das schließt dann nämlich völlig legitime, aber sehr schwer umsetzbare Ideen von Vornherein aus – wie das Mitnehmen des Klaviers oder des Trampolins, zum Beispiel. - Beenden der elterlichen Animationskarriere
Das Wichtigste zum Schluss: Sich auf die Fadheit einzulassen, ist für Kinder in Wahrheit meist gar keine so große Challenge. Die wahre Herausforderung liegt – Überraschung! – bei uns Erwachsenen. Denn: Wie sehr können wir zulassen, unser Kind fadisiert zu erleben? Und: Wie sehr können wir es aushalten, keine Optimierungsvorschläge und liebgemeinten Beschäftigungsideen mit ihm zu teilen? Das – meist unschuldige und häufig ganz automatisiert praktizierte – euphorische Animieren des gelangweilten Kindes aufzugeben, mag nicht immer leichtfallen. Sondern ist mitunter ein recht spannender Lernprozess. Gut, dass uns somit mal wieder nicht fad wird.
Alles gut, aber was ihr jetzt sofort braucht, ist eine wahre Wunderwaffe gegen Langeweile und Ideenlosigkeit? Gut, haben wir auch: Jede Menge an farbenfroher Motivation für kreative Herausforderungen findet ihr nämlich hier auf unserer Bioblo Inspirationsseite: mit unserem Best Of Bauanleitungen, Tipps und vielen Fotos!
Und jetzt sind wir neugierig: Wie geht ihr als Familie mit Langeweile um? Lasst uns gerne eure Meinung da – zum Beispiel ja als persönliches Briefchen. Darüber freuen uns immer.
Fotos: Bioblo