Abschalten: jetzt! Digital Detox ist mehr als ein – zugegeben ganz cool klingender – Trendbegriff. Vielmehr ist die vielgepriesene digitale Entgiftung in der Tat ein sehr sinnvolles Fastenprogramm, um im medialen Screen-Dschungel zwischendurch immer wieder zur Ruhe zu kommen. Klingt voll super! Zumindest für uns Erwachsene. Und jetzt müssen wir nur noch auch unsere Kinder davon überzeugen, hin und wieder mal vollkommen abzuschalten.
Es ist ja an der Basis eigentlich ein Traum: Die liebsten Comic-Helden auf Knopfdruck, eine gefühlte Million verspielter Apps auf nur einem Smartphone – und überall und jederzeit mit Tablet & Co. auch mobil die totale digitale Versorgung. Um es lapidar zusammenzufassen: Die rumkugelnden Kätzchen auf einem Grammophon mitten im sogenannten Vorabendprogramm auf einem von gerade mal zwei verfügbaren TV-Sendern – also das halten unsere Kids höchstens für nostalgische Verklärung ohne jeden Realitätsbezug (Hashtag mamaerzähltschonwiedervollskurilleschauermärchenausihrerkindheit).
Das Problem an der traumhaften Basis des digitalen Raums: Die Medien können die Entwicklung nicht nur fördern, sondern viel zu schnell auch überfordern. Von nicht altersgerechten Inhalten mal ganz zu schweigen – die sowieso niemals auf den Tisch kommen sollten, so viel elterliche Begleitung muss sein – können sich auch kindgerechte Formate belastend auswirken. Nämlich dann, wenn sie zu oft, zu lang oder in individuell unpassenden Momenten konsumiert werden.
Die Motivation für weniger Bildschirmzeit
Aber wie viel ist denn eigentlich zu viel? Das sind schwierige Fragen, für die es keine allgemein gültigen Antworten gibt. Expert*innen sind sich jedenfalls grundsätzlich einig, dass unter zwei Jahren gar kein Bildschirm am besten ist. Danach gehen höchstens zehn Minuten täglich als gutes Maß durch – aber bitte erwachsen begleitet. Ab vier Jahren liegt das empfohlene Höchstmaß dann im Bereich von einer halben bis hin zu einer ganzen Stunde. Ab zehn Jahren sind an die 90 Minuten pro Tag vertretbar. Und, ja: Das alles sind Richtwerte.
Die Realität schaut meist anders aus. Zwischen „Wir haben gar keinen Fernseher“ bis hin zu „Kaffeehaus mit unserem Baby geht so lange, wie mein Handy Akku hat“ ist da alles dabei. Nun gut.
Wie wir es uns aber schon mal in der Gegenüberstellung von analogem mit digitalem Spielzeug angeschaut haben, halten wir uns ganz gern an zwei kleine Regeln, die einen großen Unterschied machen: Es braucht eine gesunde Dosis an digitalem Konsum. Und: Es geht um eine gute Balance zwischen Screen und wirklicher Welt.
Einfach abschalten: Vorm Fernseher. Den Fernseher.
Alles mit Bildschirm zu verteufeln ist zwar wahrscheinlich in der heutigen Zeit auch nicht mehr ganz so optimal. Denn was ist schlecht an einer Folge der liebsten Serie, dem gemeinsamen Familien-Filmabend mit einem Haufen Popcorn oder einem Kinderspiel am Handy, wo es drum geht, mit der Fee Äpfel zu pflücken oder ein Autorennen zu fahren? Nichts, finden wir.
Schlecht wird das Ganze aber, wenn die Kinder anfangen, in jeder freien Minute sehnsüchtig nach dem elterlichen Smartphone zu schielen (bzw. später automatisch nach dem eigenen zu greifen) oder sich bereits im frühen Alter als Binge Watcher zu profilieren. Ein unbewusster, zu hoher Medienkonsum bei Kindern überfordert die Kleinen. Das ist keine leere Phrase, sondern liegt an der Flut an Reizen in Bild und Ton – beim passiven Starren auf den Fernseher genauso wie im aktiven, hypnotischen Abtauchen beim Spielen. Diese Reizüberflutung, die einfach nicht verarbeitet werden kann, spiegelt sich dann in Konzentrationsschwäche, Aggressionen, Schlafproblemen und Alpträumen wider – sowie in der Hilflosigkeit gegenüber Langeweile, sprich: in der Schwierigkeit, sich selbst zu beschäftigen. Also lauter Sachen, die nicht erstrebenswert sind.
Nicht, dass wir alle das nicht eh wüssten. Nur: Wie können wir nun liebe- und sinnvoll dagegen steuern? Und unsere Kinder dabei unterstützen, sich von klein auf in einem bewussten und maßvollen (so sperrig das jetzt auch klingen mag) Umgang mit digitalen Medien zu üben? Mit dem mittel- bis langfristigen Ziel, dass ein Abschalten aus freien Stücken zumindest im Bereich des Möglichen liegt? Wir haben überlegt, in den eigenen Erfahrungskisten gekramt – und natürlich recherchiert. In Summe haben wir 5 Tipps zum Abschalten gefunden, die wir sehr gern mit euch teilen.
5 Tipps, um die Kids vom Screen wegzulocken
1) Vorbildlich fernschauen:
Es hilft nichts. Wir Großen sind einfach die Vorbilder – und bleiben es für unsere Kinder auch noch eine ganze Weile. Also: Lassen wir uns im ersten Schritt doch erst mal selbst weniger vom digitalen Wahnsinn treiben, oder? Weniger Blicke aufs Handy, wenn es nicht nötig ist. Das Ding regelmäßig und ganz bewussst stumm- oder abschalten und aus der Sicht bringen. Beim Fernsehen das Programm wirklich auswählen und das Zappen dorthin legen, wo es eigentlich hingehört: in die Neunziger, zum Beispiel. Beim Streaminganbieter des Herzens nicht willen- und tatenlos zusehen, wie er lustig die nächste und nächste und nächste Serienfolge abspielt. Und so weiter. Die Kinder bekommen das alles nämlich sehr wohl mit – und können das eigene Verhalten dann auch eher optimieren.
2) Zweck vs. Zauber:
Das Handy mag Wecker, Draht in die Außenwelt, Navi, Fotoalbum und der rasche Routenplaner zum nächsten Klo in diesem viel zu großen Tierpark sein, ja. Und natürlich liegen da auch so manche Spieleapps drauf, ja. Kinder verstehen aber recht schnell, dass der sinnstiftende Griff zum Smartphone, weil die Oma anruft, in sofortiger Folge nicht automatisch den Start in eine Game Session bedeutet – wenn man es ihnen erklärt. Ein interessanter Punkt ist auch der Unterschied zwischen Arbeitsgerät und digitalem Spaß-Universum, Stichwort elterlicher Laptop. Natürlich empfindet das Kind es als unfair, wenn die Eltern sehr lange am Computer sitzen „dürfen“, während es selbst seine minimale tägliche Bildschirmzeit bereits aufgebraucht hat. Hier ganz rational zu erklären, dass das eine Spiel ist und das andere Arbeit (die zwar auch Spaß macht, aber das muss man in diesem Zusammenhang jetzt dem Zwuck ja nicht unbedingt auf die Nase binden, oder?), wirkt oft wahre Wunder. Und ebnet den Weg fürs kindliche Verständnis fürs digitale Lotterleben von Mama und Papa.
Eine Anmerkung der Form halber: Je älter unsere Kinder werden, desto mehr nutzen sie die Medien dann natürlich ebenfalls kreativ – etwa, um schulische Aufgaben zu gestalten oder sich von Lernplattformen Wissen anzueignen. Klarerweise benötigen sie dann ebenfalls ihre „arbeitsnotwendige“ Bildschirmzeit, zusätzlich zu jener, die der reinen Unterhaltung dienen darf.
3) Regeln der Balance:
Kinder lieben klare Deals, wenn man ihnen den Sinn erläutert. Eine halbe Stunde Computerspielen ist völlig okay, wenn dafür zwei Stunden im Freien anstehen. Oder, bei strömendem Regenhageldonnerwetter, eine wunderbare Stunde an Laissez-faire Time im Zimmer mit den Bioblos, Puppen, Malsachen und so. (Kinderzimmer, also. Eventuell aber auch ein beliebiger anderer Raum im gemeinsamen Haushalt. Das variiert, seien wir uns ehrlich. Und warum liegen hier eigentlich dreitausend Bausteine im Wohnzimmer?)
4) Analoger Raum:
Der Steinzeit-Klassiker von „Jetzt leg doch wenigstens beim Essen mal die Zeitung weg“ setzt sich bis heute fort – und macht hier besonders im digitalen Sinn Sinn. Nämlich jenen, sich weit weg von digitaler Ablenkung auf etwas oder jemanden konzentrieren zu können. Populäre Zeiträume zum Abschalten ganz ohne Medien sind ganz klar das gemeinsame Essen und die letzte Stunde vorm Schlafengehen. Aber auch jeder Sonntagnachmittag oder (für ganz Tapfere) eine lange Zug- oder Autofahrt eignen sich gut als vereinbart medienfrei gehaltene Räume. Stattdessen genießen wir dann das Plaudern und Basteln, Tagträumen und Spielen – gemeinsam oder autonom. Besonders schön: Ein ganzer Tag oder ein Wochenende ohne digitale Medien. Wenn diese Zeit fairerweise vorher angekündigt wird, ist es eine tolle Challenge besonders auch für die Erwachsenen. Erstaunlich ist in jedem Fall, wie viel freie Zeit bleibt, wenn all die kleinen und großen Bildschirme des Haushalts mal wirklich länger abgeschaltet bleiben – und auf welch tolle Ideen die Familie dann kommt. Vom Zuckerwattemachen und sommerlichen Keksebacken über das Aufräumen der Bauklötze oder die nächtliche Waldwanderung mit Stirnlampen (und, ja, ein wenig Angst bei jedem gruseligen Knacken im Unterholz) - bis hin zum kreativen Gestalten der faden Badezimmerfliesen oder einer baulichen Optimierung des meterhohen Kletterbaums kommen da richtig gute Einfälle. (Been there, done that. Wrote a blogpost about it.)
5) Selektive Nutzung:
Beim Fernsehen oder Streamen hilft es, die Kinder vorher „schmökern“ und gezielt auswählen zu lassen, was sie jetzt wirklich sehen wollen. Kleinere Kinder – falls sie bei euch überhaupt fernsehen dürfen – könnt ihr vorbereiten, was es gleich zu sehen gibt. Im selben Zug am besten gleich nochmals ans Zeitlimit erinnern, z.B.: nur eine Episode oder nur eine halbe Stunde oder nur so lange, bis der große Zeiger auf dem Sechser steht. Dasselbe gilt für die erlaubte Zeit am Handy mit der Spiele-App. Kurz vor Ablauf der Zeit am besten erinnern, dass das Ende naht. Und, jetzt die Königsdisziplin: Dann auch wirklich abschalten lassen oder selber abdrehen. Nein, keine fünf Minuten mehr. Nein, nicht noch eine halbe Folge. Das ist hart, wir wissen es. Doch schon nach wenigen Malen spielt es sich meist wunderbar ein. Also, grundsätzlich, meinen wir. Ab und zu mal doch wieder ein kurzer Wutanfall, weil das Spiel-Level gerade soooo wichtig war oder der Film soooo spannend, ist in der Strategie sowieso immer eingeplant. Schließlich sind wir Menschen, ob klein oder groß, zwar sehr entwicklungsfreudig – aber trotzdem keine Computer. Zum Glück!
PS: Und wie geht es euch und euren Kindern mit – oder besser gesagt eigentlich: ohne – Handy, Tablet und Fernseher? Habt ihr noch mehr Tipps, damit eure Kids gut und gerne abschalten? Wir freuen uns immer über eure Nachricht.
Fotos: Bioblo